Neueste Beiträge

Beim Experimentieren mit einem Block „Neueste Beiträge“ ist mir aufgefallen, dass ich hier schon lange nichts mehr geschrieben habe. Der Grund ist der, dass dies inzwischen im Wesentlichen nur noch eine Testinstallation ist. Ich habe also durchaus mit einigen Funktionen, besonders im Zusammenhang mit den ständigen Änderungen und Erweiterungen des Block-Editors experimentiert, aber dazu musste ich keine neuen Beiträge schreiben.
Vielleicht schreibe ich in Kürze einmal etwas über die 40 Jahre, die ich inzwischen mit Computern arbeite. (Mein erster ernsthafter Computer war im Jahr 1984 ein Schneider CPC464, einer der ersten erschwinglichen Home-Computer, mit denen man ernsthaft arbeiten konnte. PCs, also Personal Computer, kosteten damals selbst in den Grundausführungen locker 5000 DM und mehr.)

Erinnerung: Der 13.August 1961

In diesen Tagen jährt sich der Bau der Berliner Mauer zum 60.Mal und es wird in den Medien überall daran erinnert. Für mich persönlich ist es die früheste Erinnerung an ein politisches Ereignis, das ich als Kind miterlebt habe. Ich war 7 Jahre alt und Ostern in die Schule gekommen.
Ich erinnere mich daran, dass an diesem Tag bei uns zu Hause das Radio rund um die Uhr lief. Meine Eltern waren sehr aufgeregt, und mein Vater reagierte sehr ungehalten, wenn er während aktueller Nachrichten (die mindestens alle halbe Stunde kamen) angesprochen wurde. Wir Kinder, d.h. mein Bruder Georg, damals 5 Jahre alt, und ich, verstanden nur, dass in Berlin eine große Mauer gebaut würde und dass „die Russen“ daran schuld seien. Wir kannten Berlin aus dem Buch „Emil und die Detektive“, das unser Vater uns vorgelesen hatte. Ansonsten wussten wir, dass Berlin die deutsche Hauptstadt war und dass wir in einem Urlaub 2 Jahre vorher eine Familie aus Berlin kennengelernt hatten. Waren die jetzt auch eingemauert? Dann war immer von den Amerikanern die Rede, und was die jetzt wohl machen würden. Viele Fragen also auch für uns Kinder und eine bedrohliche Stimmung, die sich auch auf uns – jedenfalls auf mich – übertrug. (Mein Bruder kann sich daran nicht erinnern.) Am Nachmittag dieses Tages, es war ein Sonntag, besuchten wir unsere Oma. Unser Vater versuchte uns den Bau dieser Mauer zu verdeutlichen, indem er sagte, wir müssten uns das so vorstellen, als ob an der Bismarckstraße eine Mauer gebaut würde und wir plötzlich unsere Oma nicht mehr besuchen dürften. Gerade diese Vorstellung machte mir natürlich auch viel Angst und brannte dieses Datum ziemlich fest in mein Gehirn ein.

Als die Berliner Mauer 1989 fiel war ich 35 Jahre alt und erinnere mich – wie wohl die meisten meines Alters – genau daran, wann und wie ich es erfahren habe. Der Tag des Mauerfalls, der 9.November 1989, fiel mit dem Jahrestag der Reichspogromnacht (9.November 1938) zusammen. Ich nahm an einer Gedenkveranstaltung am Synagogenplatz teil. Danach fand an diesem Abend noch eine Lesung zum Themas „Anne Frank“ in einer Gaststätte nahe dem Synagogenplatz statt. Obwohl wir hier mit vielen politisch nicht nur Interessierten , sondern auch Aktiven (ich war Vorsitzender des Stadtjugendringes und als solcher sogar Mitorganisator dieser Veranstaltungen) zusammentrafen, sprach sich die Maueröffnung an diesem Abend nicht herum – heute im Zeitalter der jederzeitigen Erreichbarkeit undenkbar! Nach der Veranstaltung saßen wir mit einigen Leuten noch eine Weile zusammen und tranken auch das eine oder andere Bier, bevor mich ein Bekannter nach Hause brachte. Dort ging ich dann sofort ins Bett. Am 10.November wurde ich um 6:30 Uhr durch die Frühnachrichten geweckt: „Die Mauer ist offen!“ Ich war schlagartig wach und stand sozusagen senkrecht im Bett, weil ich diese Nachricht zunächst nicht glauben konnte. Ich schaltete sofort im Wohnzimmer den Fernseher ein, wo natürlich auch intensiv berichtet und die (inzwischen allgemein bekannten) Bilder aus Berlin gezeigt wurden, sodass kein Zweifel bestehen konnte: Die Mauer ist offen!
Man wusste natürlich in diesem Moment nicht, wie es weiter gehen würde. Die nächsten Wochen gab es kaum andere Gesprächsthemen, hauptsächlich von der Frage geprägt „Wird das gut gehen?“. Heute wissen wir: Es ist gut gegangen, wenn auch nicht für jeden einzelnen.

Verschickungskinder

Durch einen Bericht im ZDF-Magazin „Volle Kanne“ wurde ich (Jahrgang 1954) auf das Problem der sog. „Verschickungskinder“ aufmerksam, und mir wurde schnell bewusst, dass ich auch in diese Kategorie gehöre, auch wenn ich nur 1x „verschickt“ wurde und auch nur für 4 Wochen. Ich habe deshalb in den letzten Tagen viel in meinem Gedächtnis gekramt und habe aufgeschrieben, was mir so dazu eingefallen ist. Es war leider nicht besonders viel. Insgesamt muss ich aber sagen – nachdem ich viele Berichte von Verschickungskindern gelesen habe- dass ich mit „meinem“ Heim Glück gehabt habe. (https://verschickungsheime.de/zeugnis-ablegen/?show_all=true)

Zur Erholung fahren

Man nannte es bei uns „zur Erholung fahren“.  Es gehörte damals in meinem Umfeld irgendwie zur Kindheit dazu, mindestens einmal zur Erholung zu fahren. Meine Eltern mussten mich wohl anfangs etwas überreden, aber letztlich fuhr ich freiwillig. (Als der zuerst für mich geplante Termin ausfallen musste, weil ich die Masern bekam, war ich jedenfalls sehr enttäuscht).
Ich war auch schon fast 10 Jahre alt, also älter als die meisten, die im Forum „Verschickungsheime“ berichtet haben.  (Dass das ganze einen medizinischen Hintergrund haben sollte, war mir und wahrscheinlich auch den meisten anderen Kindern gar nicht bekannt.)
Da meine Mutter AWO-Mitglied war und es auch ansonsten familiäre Beziehungen dahin gab, sollte es das Erholungsheim der AWO in Holterberg bei Osnabrück sein. Ob überhaupt ein anderes Heim in Betracht gezogen wurde, weiß ich nicht. Hätten medizinische Gründe eine Rolle gespielt (ich hatte mindestens zeitweise Asthma-Probleme) hätten es ein anderes Haus und mindestens 6 Wochen sein müssen. Auch mein Freund und ein weiters Kind aus meiner Klasse fuhren mit.

Für die Hinfahrt hatte meine Mutter sich erboten, die Wilhelmshavener Kinder zu begleiten. Das wurde aber abgelehnt, weil man befürchtete, ich würde Probleme machen, wenn die Trennung von meiner Mutter dort und nicht auf dem Abreisebahnhof erfolgen würde. Ich weiß noch, dass ich über diese Unterstellung ziemlich sauer war, zumal ich auch sicher war, kein Heimweh zu bekommen. (Woher ich diese Sicherheit nahm, weiß ich nicht, denn ich war noch nie alleine von zuhause weg gewesen.)

Holterberg

Das Kindererholungsheim Holterberg von hinten, 1964

Nun ja, wir fuhren dann irgendwann Mitte März mit dem Zug nach Osnabrück, irgendeine Begleitung werden wir gehabt haben. In Sande stiegen ganz viele andere Kinder (hauptsächlich aus Wittmund) zu, die ebenfalls nach Holterberg fuhren, diese wurden von einer Gemeindeschwester begleitet. Von Osnabrück fuhren wir dann mit einem Bus nach Holterberg, das Heim war sehr abgelegen, sozusagen am „Ende der Welt“. (Heute ist es ein Heim für schwerbehinderte Erwachsene mit einer Autismus-Störung).
Wir wurden in drei Gruppen eingeteilt; ca. 17 „große“ Jungen von 7 – 14 Jahren, etwa 15 „große“ Mädchen – nach einem Foto, das ich noch habe, müssen hier neben einigen wirklich großen auch etliche kaum 6-7-jährige dabei gewesen sein. Dann waren da noch die „Kleinen“, Jungen und Mädchen unter 6 gemischt. Wir bekamen einen männlichen Betreuer, Herrn G.. Er war Student (man beachte aber, dass es deutlich vor 1968 war!) und er machte diese Arbeit als Praktikum. Wie wir ihn ansprechen mussten, weiß ich gar nicht mehr, mit Sicherheit nicht mit „Onkel“ und/oder Vornamen. (Den Vornamen habe ich erst durch eine Internetrecherche herausgefunden. Insofern ist mir auch sein weiterer Lebensweg, der ihn durchaus zu einigen höheren Ämtern brachte, bekannt.) Den anderen Gruppen wurde je eine „Tante“ zugeteilt, die Namen weiß ich nicht mehr. Es waren – glaube ich – relativ junge Frauen. Mindestens eine von gab sich immer sehr herrisch und wir Jungen waren froh, dass wir mit ihr nur wenig zu tun hatten. Das Haus wurde von einer Frau geleitet, ich denke, sie war um die 40, aber das kann man ja als Kind schlecht schätzen. Wir hatten mit ihr aber nur wenig zu tun. An weiteres Personal erinnere ich mich nicht, aber es muss natürlich welches gegeben haben.
Ohrfeigen waren in jener Zeit noch anerkanntes Erziehungsmittel. Auch unserem Betreuer saß in der Beziehung die Hand manchmal locker. Mich erwischte es gleich am ersten Tag, in welchem genauen Zusammenhang weiß ich nicht mehr. Jedenfalls machte ich eine unpassende oder vorlaute Bemerkung (das konnte ich damals ganz gut) und zack, kam die Antwort in Form einer Ohrfeige. Ich wusste nun, dass ich mich vorsehen musste und hielt mich fortan zurück. Ich habe auch nicht viele weitere Ohrfeigen erhalten. Andere Prügel, von denen etlichen Verschickungskinder berichten, gab es nach meiner Erinnerung nicht. Auch an sonstige Strafen kann ich mich nicht erinnern, aber es wird welche gegeben haben.

Das Essen

Am meisten gestört hat mich das Essen. Jeden Morgen gab es als erstes einen Teller Milchsuppe, die aufzuessen war. Manchmal schmeckte diese ganz gut, aber meistens fand ich diese unangenehm, eher eklig. Was es danach gab, weiß ich nicht mehr genau, es werden wohl der Zeit entsprechend Marmeladenbrote gewesen sein.
Vor dem Frühstück (und möglicherweise auch vor anderen Mahlzeiten) fanden übrigens die einzigen „medizinischen Maßnahmen“ statt, an die ich mich erinnern kann: Es gab Stärkungs- und Kräftigungsmittel, Vitaminpräparate oder Ähnliches (allgemein damals laut Dr.Kleinschmidt im Buch „Kinderheime – Kinderheilstätten“ als „Roborantien“ bezeichnet) , und hier bekam nicht jedes Kind das gleiche. Ich hatte das Glück, das relativ gut schmeckende Sanostol zu bekommen, andere bekamen aber durchaus unangenehmere Sachen, möglicherweise sogar Lebertran.
Ob ich auch Asthma-Medikamente oder meinen Hand-Inhalator dabei hatte und auch benutzte, weiß ich nicht mehr. Vielleicht machte mein Asthma gerade Pause, vielleicht wirkte die Luftveränderung dem entgegen? Die Situation mit den Gemeinschaftsschlafräumen und den eng stehenden Etagenbetten hätten meine Probleme durchaus verstärken können, taten es aber nach meiner Erinnerung nicht.
An das Mittagessen erinnere ich mich noch insofern, dass es häufig Kartoffeln gab, die in irgendeiner Weise verdorben waren. Sie waren von innen total glasig und fest; wahrscheinlich waren sie im Winter falsch gelagert worden. Ich war immer froh, wenn es Suppe gab, in der keine oder wenig Kartoffeln waren. Sogar Nudelsuppe, die ich zu Hause gar nicht mochte, war mir lieber als eben diese Kartoffeln. Aber irgendwie bekam man auch dieses Essen herunter. Dass „gegessen wird, was auf den Tisch kommt“ und die Teller leer zu essen waren, war übrigens damals allgemein üblich und in unseren Köpfen ziemlich verankert, dazu brauchte es keine Strafen. (Ein Nachtisch fand übrigens den Weg in unseren häuslichen Speiseplan: Die Quarkspeise. Es gab sie wohl gerade an dem Tag, als meine Mutter zur Abholung gekommen war, und ich hatte ihr gleich erzählt, dass ich diesen Nachtisch gerne mochte.)
Ich weiß nicht, was mit Kindern passierte, die nach der Essenzeit ihre Portion nicht aufgegessen hatten. An Zwangsessen oder gar das Aufessen von Erbrochenem kann ich mich nicht erinnern. Ich halte es aber für möglich, dass es Kindern, die beim Essen sehr mäkelig waren, angedroht wurde; es wurde hinter vorgehaltener Hand über solche Maßnahmen gemunkelt. Ein Bild von einem kleineren Jungen aus unserer Gruppe, der sich direkt vor dem Tisch auf den Fußboden übergeben hatte und dieses dann eigenhändig wieder aufwischen (aber nicht essen) musste, ist mir jetzt wieder in den Sinn gekommen und wird wohl auch stimmen.
Während des Mittagessens (oder wenn die meisten fertig waren ?) wurde auch vorgelesen, wahrscheinlich um die lange Zeit, bis die letzten mit dem Essen fertig waren, zu überbrücken. Es lasen meistens Kinder vor, und ich als guter Leser übernahm diese Aufgabe gerne. Es hat mir wahrscheinlich auch geholfen, das Essen ohne zu viel herumgestochere herunterzubekommen, denn sicher musste man mit dem Essen fertig sein, um vorlesen zu dürfen. Mein Vorlesen wurde jedenfalls auch von Herrn G. des Öfteren gelobt, und dass war natürlich Balsam für meine Seele und ist mir in Erinnerung geblieben.

Den Mittagsschlaf , der in vielen Berichten erwähnt wird, gab es natürlich auch bei uns. Er war wahrscheinlich auch Vorschrift. An Details erinnere ich mich nicht, aber wir mussten uns wohl in die Betten legen und durften nicht miteinander reden. Ob wir angehalten wurden, tatsächlich zu schlafen weiß ich nicht mehr. Auf jeden Fall fanden wir diese Zeit alle ziemlich nervig. Für uns war Mittagsschlaf etwas für kleine Kinder und für alte Leute. Ich habe aber auch keine Erinnerung daran, was mit Kindern passierte, die sich in dieser Zeit nicht ruhig verhielten – es wird sicher irgendwelche Strafen gegeben haben. (Immer, wenn es hinterher irgendwo hinging, z.B. in Zeltlager, und dieser Begriff auftauchte, war mir das ein Gräuel und ich fragte als erstes, ob wir denn auch schlafen müssten.)
Die Benutzung der Toiletten war – anders als ich es in vielen Berichten gelesen habe – nicht limitiert, aber es war klar, dass man normalerweise nicht während der Mahlzeiten dort hindurfte (Ausnahme war, glaube ich, wenn sich jemand übergeben musste. So, wie es sich in vielen Schilderungen aus anderen Heimen liest, dass die Betreuer offenbar ganz wild darauf waren, dass sich Kinder am Tisch übergaben, war es bei uns nicht. Dem kleinen Jungen, von dem ich oben berichtete, wurde wohl auch vorgeworfen, nicht schnell genug zur Toilette gelaufen zu sein.) Wie es in der Nacht ablief, weiß ich gar nicht mehr, denn Waschräume und Toiletten waren im Keller, wir aber im ersten Stock. Vielleicht gab es einen Nachttopf auf dem Zimmer oder ein Notfallklo auf der Etage. Auf jeden Fall war es schwierig, und da erinnere ich mich an ein besonderes Ereignis, das mich persönlich betraf: Aus irgendwelchen Gründen – wahrscheinlich musste ich mich übergeben – lief ich an einem späten Abend in die Sanitärräume im Keller hinunter. Als ich ankam, saß unsere Heimleiterin dort nackt in einer Badewanne! Das gab natürlich ein Donnerwetter, und ich war schneller wieder oben, als ich unten gewesen war. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass mir das eine besondere Strafe eintrug.

Die Gruppen der großen Jungen und Mädchen im Wald. (Das Gesicht des Betreuers ist verpixelt, die Kinder, die inzwischen alle über 60 sind, dürfte man auf so einem Foto ohnehin nicht erkennen. Ich bin der Junge, der am zweitweitesten hinten steht.)

Langeweile

Insgesamt habe ich die Zeit als sehr langweilig in Erinnerung. Mit Ausnahme von Spaziergängen in den umliegenden Wald und Spielen auf einem Rasen vor dem Haus wurde wenig mit uns unternommen. In einem Dorf waren wir nur einmal, weil der Betreuer dort wohl etwas auf der Post zu erledigen hatte. Einige Male durften wir an einer großen Modellmühle, die in unserem Speiseraum entstehen sollte, weiterarbeiten. Das machte mir viel Spaß, war aber viel zu selten. Ansonsten kann ich mich nur an einen Bastelnachmittag vor Ostern erinnern, mit den Mädchen und deren Tanten. Ich glaube, dass wir auch Holz für ein Osterfeuer gesammelt haben, an das Feuer kann ich mich aber nicht erinnern.
Ich kann mich auch daran erinnern, dass wir einmal fernsehen durften, für mich insofern etwas Besonderes, weil wir keinen Fernseher zu Hause hatten. Es war eine Serie über einen Bewährungshelfer, und Herr G. hielt diese wohl für besonders wertvoll. Jedenfalls erklärte er uns vorher, was Bewährung überhaupt bedeutet. Ob die Sendung nur einmal während unserer 4 Wochen lief oder warum wir diese ansonsten nur einmal sehen durften, weiß ich nicht mehr. (Später war Herr G. wohl auch als solcher tätig, wahrscheinlich interessierte es ihn deshalb besonders.)

Krankheiten

Einmal war ich Tag krank (Magen/Darm, das hatten fast alle einmal). Ich musste den Tag in meinem Bett verbringen, wurde aber weitgehend in Ruhe gelassen und durfte den ganzen Tag lesen. Das fand ich ganz angenehm. Ich war aber trotzdem am nächsten Tag wieder gesund. Leider konnte ich dann das Buch nicht zu Ende lesen, warum, weiß ich auch nicht mehr. Gegen Ende unseres Aufenthalts brachen die Masern aus. Die betroffenen Kinder wurden alle in einem Zimmer zusammengefasst und isoliert. Wie dort Betreuung, Essen usw. aussahen, weiß ich nicht. Herr G. schaute uns allen hinter die Ohren, weil man seiner Meinung nach dort die ersten Anzeichen sehen könnte. Mir prophezeite er auch, die Masern zu bekommen; ich hatte diese aber ja hinter mir und wusste, dass man diese Krankheit nicht zweimal bekommt. Vermutlich habe ich ihm das dann auch so gesagt, sonst wäre ich ja bestimmt im Masernzimmer gelandet.

Post

Mit der Postzensur hatte ich im Unterschied zu vielen anderen, die im Verschickungsheime-Forum geschrieben haben, keine Probleme. Meinen Eltern hätte ich sowieso nicht geschrieben, dass mir das Essen oft nicht schmeckt und schon gar nicht, dass ich auch mal eine Ohrfeige bekommen habe. Und Heimweh hatte ich ja – trotz einiger Negativerlebnisse – tatsächlich nicht und abgeholt werden wollte ich auch nicht. (Meine Eltern hätten ein solches Ansinnen, jedenfalls wegen solcher Kinkerlitzchen, auch abgelehnt.)

Dies ist die einzige Karte, die (in meinem Albun) erhalten ist. Sie war an meinen Bruder gerichtet und ist völlig nichtssagend. Weitere Post ist nicht erhalten, obwohl bei uns so etwas eigentlich immer aufbewahrt wurde; ich vermute, dass sie entweder beim Umzug meiner Mutter oder bei der Auflösung ihres Haushaltes entsorgt wurde.
Karten und Briefe bekamen wir nach meiner Erinnerung ungeöffnet ausgehändigt. Päckchen und Pakete sollten uns wohl nicht geschickt werden. Ich erinnere mich genau, dass ich zu Ostern einen Brief bekam, welche Ostergeschenke ich nach der Heimkehr bekommen sollte, diese aber nicht geschickt wurden.

Ausziehen

In vielen Berichten ist davon die Rede, dass die Kinder sich oft (auch unnötigerweise) nackt ausziehen mussten. Das war bei uns „Großen“ nicht der Fall, wobei ich mich an Situationen, in denen wir duschen oder baden sollten, nicht erinnere. Bei den kleinen Kindern war das anders: Diese mussten sich regelmäßig nackt ausziehen, dann mit der „Tante“ in Zweierreihe in den Waschraum gehen, sich dort fertigmachen und dann wieder hochgehen. Ob das ein tägliches Ritual war (ich meine ja) weiß ich nicht mehr. Wir sollten jedenfalls nicht hingucken, taten es aber doch – ich hatte immerhin vorher noch nie Mädchen ganz nackt gesehen. Ich kann mir vorstellen, dass einige Kinder das durchaus entwürdigend fanden.

War die Erholung erfolgreich?

Der Erfolg einer solchen Erholungsmaßnahme wurde auch bei uns ausschließlich an der Gewichtszunahme gemessen. Wir wurden deshalb regelmäßig gewogen. Bei mir kam eine Gewichtszunahme von 1kg (bei rund 30kg Körpergewicht) heraus. Ob damit die Kur als erfolgreich galt, weiß ich nicht mehr. Eine ärztliche Untersuchung hatte es wohl am Anfang gegeben, danach wurden die „Roborantien“ zugeteilt. An eine richtige Abschlussuntersuchung erinnere ich mich nicht, vielleicht genügte die Waage, vielleicht lag es auch am Masern-Ausbruch, dass eine solche nicht stattfand.
Alles in Allem war diese „Erholung“ für mich eine Enttäuschung, hat mich aber in keiner Weise traumatisiert. Es stand allerdings für mich fest, nicht noch einmal in eine solche Einrichtung fahren zu wollen.

Anekdotisch: Der erste Schultag nach der Erholung

Mehr anekdotisch zum Schluss: Wir fuhren an einem Freitag nach Hause zurück, zur Abholung durfte meine Mutter übrigens kommen. Mit den Eltern der beiden anderen Kinder aus meiner Klasse wurde verabredet, dass wir nicht am Samstag – damals normaler Schultag – sondern erst am Montag wieder in die Schule gehen sollten. Das erste, was unserem Klassenlehrer (den wir gerade neu bekommen hatten) zu unserer Begrüßung einfiel, war, uns wegen des versäumten Samstages eine Strafpredigt zu halten und dies als Schulschwänzen zu bezeichnen, das sollten wir auch unseren Eltern sagen. Ob wir danach noch etwas erzählen sollten, weiß ich nicht mehr; wahrscheinlich hatten wir dann auch keine Lust mehr dazu.

Vergleich mit anderen „Verschickungskindern“

Wie am Anfang schon gesagt: Wenn ich meine Erinnerungen mit dem vergleiche, was im Forum „Verschickungsheime -Zeugnis ablegen“ zu lesen ist, hatten wir es wohl recht gut getroffen. Man muss aber auch berücksichtigen, dass ein sehr großer Teil der als besonders negativ erlebten Ereignisse von Frauen und Männern geschildert wird, die zu dem Zeitpunkt ihrer Verschickung noch sehr jung waren und zum Teil gegen ihren Willen und manchmal wohl sogar ohne ihr vorheriges Wissen verschickt wurden. Deshalb kann man aus den geschilderten Erlebnissen sicher nicht schließen, dass der größte Teil der 8 – 12 Millionen verschickten Kinder ihre Verschickung als traumatisch erlebt haben. Es wird wohl sehr viel öfter so gewesen sein, dass es – wie ich es empfunden habe – nicht besonders schön war, aber eben auch nicht das Horrorerlebnis der Kindheit. (Auch wenn die 60er-Jahres des letzten Jahrhunderts eine ganz andere Zeit war als heute: Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass so viele Kinder in diese Heime geschickt worden wären, wenn diese so einen schlechten Ruf gehabt hätten. Und das Negative dürfte sich auch damals herumgesprochen haben.)

Und danach?

Im Nachgang: Als ich ein halbes Jahr später eine Einladung zur Gründung einer Kindergruppe der „Falken“ erhielt, wollte ich zunächst nicht dahin, weil ich befürchtete, es könne wieder auf etwas Ähnliches wie den Aufenthalt in Holterberg hinauslaufen. Nach sanftem Druck meiner Eltern ging ich, dann allerdings gemeinsam mit meinem Bruder, doch in die Gruppe. Ich fand das gut und nahm auch schnell und begeistert an den Wochenendfahrten teil. Obwohl ich in der Zwischenzeit mehrere Klassenfahrten hinter mir hatte – die damals mit 10 – 14Tagen auch länger waren als heute – wollte ich lange nicht in die Zeltlager fahren, da hingen mir die Holterberg-Erfahrungen zu sehr nach. (Allerdings verreisten wir auch mit unseren Eltern, übrigens von 1964-1969 immer in ein Familien-Ferienheim bzw. -dorf der AWO.) Erst mit 14 Jahren war ich dann soweit, und dort war alles ganz anders; das Essen war vielleicht gar nicht viel besser, aber es gab keine Milchsuppen und man musste nicht essen, wenn man es nicht mochte, Zwangs-Mittagsruhe gab es nicht…. Das war alles ganz toll, ich bin einige Male als Jugendlicher mitgefahren, dann auch Helfer (Betreuer) geworden, später auch Lagerleiter usw. Aber das steht auf einem anderen Blatt, das ich ja für die, die mich kennen, schon sehr voll geschrieben habe.

Dieter Tiesfeld

 

Meine 50 Jahre Fotografie

Vor 50 Jahren* habe ich als Weihnachtsgeschenk meine erste Kamera bekommen. Es handelte sich um eine ADOX Polo 1b. Sie hatte ein 45mm-Objektiv der Lichtstärke 1:3,5 und eine kürzeste Verschlusszeit von 1/125s. Besonderheit war ein eingebauter Belichtungsmesser, der allerdings nicht mit den Kameraeinstellungen verbunden war, d.h. man musste die Werte ablesen und von Hand übertragen.

Meine erste Kamera- eine ADOX Polo 1b.

Meine erste Kamera- eine ADOX Polo 1b. Bei diesem Bild handelt es sich um ein im Internet erworbenes, baugleiches Exemplar. Meine Original-Kamera von 1965 existiert noch, ist aber nicht mehr funktionstüchtig.

Ich hatte vereinzelt vorher schon Fotos mit einer alten und mit der damals aktuellen Kamera meines Vaters gemacht. Außerdem hatte mein Vater mich – als ich den Wunsch nach einer eigenen Kamera geäußert hatte – veranlasst, erst einmal Teile des „Buches der Photographie“ von Andreas Feininger zu lesen. So wusste ich bereits so viel von den Grundlagen, dass schon meine ersten Fotos (zum größten Teil) technisch in Ordnung waren. Auch, dass man die Kamera beim Auslösen ruhig halten muss, war mir bereits bewusst, denn meine allerersten Fotos waren überwiegend verwackelt, weil ich dies eben nicht berücksichtigt hatte.
Damals waren die laufenden Kosten des Fotografierens wesentlich höher als heute: Alle Fotos wurden (in der Regel auf Schwarz-Weiß)-Film aufgenommen und musste entwickelt werden. Unbrauchbare Bilder verursachten also echte Kosten! Der Ratschlag, den es damals auch schon gab – viele Fotos zu machen und nur die besten zu verwenden – war also aus Kostengründen kaum zu befolgen.
Hier einige meiner ersten Fotos:

Eines meiner ersten Bilder: Meine Mutter mit Schafen

Eines meiner ersten Bilder: Meine Mutter mit Schafen am Neuengrodener Weg, ungefähr da, wo heute Kaufland steht.

Fotos_1965_KW-Bruecke

Die Kaiser-Wilhelm-Brücke war auch 1965 schon ein Wahrzeichen Wilhelmshavens; im Schnee natürlich ein Fotomotiv.

Fotos_1965_Rodeln

Nach verhaltenem Beginn muss der Winter 1965/66 noch ziemlich streng gewesen sein. Wir konnten jedenfalls häufig auf „Bauers Berg“ rodeln. (Bauers Berg lag zwischen der Thomaskirche und dem heutigen Spielplatz in Neuengroden und wurde in den 70er Jahren abgetragen, als dort Wohnhäuser gebaut wurden.)**

Fotos_1965_ErsterMai

Mein 2. oder 3.Film: Maifeier 1965 in Wilhelmshaven, damals erstmals im Kurpark. In der 2.Reihe meine Eltern (etwas rechts von der Mitte, meine Mutter mit hellem Hut).

Das bräunliche der Fotos liegt nicht an einem Alterungsprozess, sondern dass man Abzüge damals vorzugsweiße auf leicht bräunlichem Papier („chamois“) herstellen ließ. Ich selbst bevorzugte später weißes Papier, aber hier hatte ich mich noch nach den Vorgaben meines Vaters gerichtet.
Erstaunlich übrigens, wie scharf und detailreich die Fotos sind (im Internet vielleicht nicht so gut zu sehen); auch preisgünstige Kameras hatten bei Schwarz-Weiß-Fotos eine gute Qualität. Allerdings handelte es sich nicht um eine „Billig-Kamera“! Bei Farbfotos, die ich ab 1967 gelegentlich machen durfte, kam die ADOX aber schnell an ihre Grenzen, besonders, da der Belichtungsmesser doch sehr ungenau war. Ab Ende der 60er Jahre – als ich schon ein eigenes Labor hatte – wünschte ich mir deshalb eine Spiegelreflexkamera, und die konnte ich mir 1970 von Ersparnissen und im Rahmen einer Nachmittagstätigkeit verdientem Geld leisten. 1979, nach meiner 2.Lehrerprüfung und mit der Aussicht auf eine Festanstellung, leistete ich mir dann die Spitzenkamera von Minolta, die XD 7. Die erste Autofokuskamera kam dann 1989 dazu – die XD 7 hatte dummerweise ausgerechnet bei meinem letzten Besuch in Ostberlin vor dem Mauerfall ihren Geist aufgegeben. Auf die Digitalfotografie bin ich erst umgestiegen, als die Qualität der Filme (mindestens der preisgünstigen Filme) nach 2005 stark nachließ; ich trauere der Analogfotografie aber auch nicht übermäßig nach.
Im Jahr 2022 habe ich einige Bilder aus meinem „Archiv“ nach WDR digit hochgeladen; z.T. stammen diese von meinem Vater. Näheres dazu siehe: Hinweis auf Webseiten
Wenn ich diese 50 Jahre zurückdenke, war diese Kamera eigentlich mein wichtigstes Weihnachtsgeschenk – ich habe seit dem immer fotografiert. Es gab zwar Zeiten, in denen ich nur wenige Fotos gemacht habe, aber ich habe nie länger als ein paar Monate damit aufgehört.

*Dieser Artikel wurde am 27.12.2015 geschrieben. Somit fotografiere ich jetzt (2023) seit 58 Jahren.
**Nach meiner Kenntnis sollte hier wegen des stark gewachsenen Stadtteils eine neue Schule gebaut werden. Der Teich war die Baugrube, der Berg der Aushub. Wegen des 2.Weltkrieges wurden die Baumaßnahmen eingestellt, und bis in die 70er Jahre blieb alles so liegen.