In diesen Tagen jährt sich der Bau der Berliner Mauer zum 60.Mal und es wird in den Medien überall daran erinnert. Für mich persönlich ist es die früheste Erinnerung an ein politisches Ereignis, das ich als Kind miterlebt habe. Ich war 7 Jahre alt und Ostern in die Schule gekommen.
Ich erinnere mich daran, dass an diesem Tag bei uns zu Hause das Radio rund um die Uhr lief. Meine Eltern waren sehr aufgeregt, und mein Vater reagierte sehr ungehalten, wenn er während aktueller Nachrichten (die mindestens alle halbe Stunde kamen) angesprochen wurde. Wir Kinder, d.h. mein Bruder Georg, damals 5 Jahre alt, und ich, verstanden nur, dass in Berlin eine große Mauer gebaut würde und dass „die Russen“ daran schuld seien. Wir kannten Berlin aus dem Buch „Emil und die Detektive“, das unser Vater uns vorgelesen hatte. Ansonsten wussten wir, dass Berlin die deutsche Hauptstadt war und dass wir in einem Urlaub 2 Jahre vorher eine Familie aus Berlin kennengelernt hatten. Waren die jetzt auch eingemauert? Dann war immer von den Amerikanern die Rede, und was die jetzt wohl machen würden. Viele Fragen also auch für uns Kinder und eine bedrohliche Stimmung, die sich auch auf uns – jedenfalls auf mich – übertrug. (Mein Bruder kann sich daran nicht erinnern.) Am Nachmittag dieses Tages, es war ein Sonntag, besuchten wir unsere Oma. Unser Vater versuchte uns den Bau dieser Mauer zu verdeutlichen, indem er sagte, wir müssten uns das so vorstellen, als ob an der Bismarckstraße eine Mauer gebaut würde und wir plötzlich unsere Oma nicht mehr besuchen dürften. Gerade diese Vorstellung machte mir natürlich auch viel Angst und brannte dieses Datum ziemlich fest in mein Gehirn ein.
Als die Berliner Mauer 1989 fiel war ich 35 Jahre alt und erinnere mich – wie wohl die meisten meines Alters – genau daran, wann und wie ich es erfahren habe. Der Tag des Mauerfalls, der 9.November 1989, fiel mit dem Jahrestag der Reichspogromnacht (9.November 1938) zusammen. Ich nahm an einer Gedenkveranstaltung am Synagogenplatz teil. Danach fand an diesem Abend noch eine Lesung zum Themas „Anne Frank“ in einer Gaststätte nahe dem Synagogenplatz statt. Obwohl wir hier mit vielen politisch nicht nur Interessierten , sondern auch Aktiven (ich war Vorsitzender des Stadtjugendringes und als solcher sogar Mitorganisator dieser Veranstaltungen) zusammentrafen, sprach sich die Maueröffnung an diesem Abend nicht herum – heute im Zeitalter der jederzeitigen Erreichbarkeit undenkbar! Nach der Veranstaltung saßen wir mit einigen Leuten noch eine Weile zusammen und tranken auch das eine oder andere Bier, bevor mich ein Bekannter nach Hause brachte. Dort ging ich dann sofort ins Bett. Am 10.November wurde ich um 6:30 Uhr durch die Frühnachrichten geweckt: „Die Mauer ist offen!“ Ich war schlagartig wach und stand sozusagen senkrecht im Bett, weil ich diese Nachricht zunächst nicht glauben konnte. Ich schaltete sofort im Wohnzimmer den Fernseher ein, wo natürlich auch intensiv berichtet und die (inzwischen allgemein bekannten) Bilder aus Berlin gezeigt wurden, sodass kein Zweifel bestehen konnte: Die Mauer ist offen!
Man wusste natürlich in diesem Moment nicht, wie es weiter gehen würde. Die nächsten Wochen gab es kaum andere Gesprächsthemen, hauptsächlich von der Frage geprägt „Wird das gut gehen?“. Heute wissen wir: Es ist gut gegangen, wenn auch nicht für jeden einzelnen.